Entscheidungen – Erfolge

Es war eine Überraschung beim Bremer Fernsehpreis 2015: Astrid Houben, Reporterin der Aktuellen Stunde (WDR) erhielt einen Sonderpreis für ihre Live-Berichterstattung aus Haltern nach der Germanwings-Katastrophe. Moderator Frank Plasberg („Hart aber fair“), Vorsitzender der fünfköpfigen Jury, zur Begründung: „Astrid Houben versucht, sich in die Menschen zu versetzen, sie erzählt deren Geschichten und versucht so, das Unfassbare fassbar zu machen.“  Astrid Houben wahrte aber auch den Respekt vor den trauernden Menschen, beachtete Grenzen und verzichtete auf jene Bilder und Arbeitsweisen, für die andere Medien stark kritisiert wurden.

Frau Houben, was ist für Sie rückblickend die wichtigste Entscheidung gewesen?

Es waren im Grunde zwei Entscheidungen, die nach dem ersten Tag, an dem ich live aus Haltern berichtet habe, gefallen sind.

Nachdem ich an diesem ersten Tag abends an der Schule stand, gesehen habe, wie Trauernde Kerzen und Blumen ablegten und ganz für sich den Opfern gedenken wollten, dies aber unter konstanter Beobachtung von Kameras tun mussten, war für mich klar, ich möchte das nicht.

Astrid Houben Haltern
Astrid Houben, Foto: WDR

Ich möchte diesen Ort den Menschen lassen, die kommen, um zu trauern. Die Schule war, denke ich, ein ganz wichtiger Ort für viele. Der Ort, an dem man an die Menschen denken konnte, die ihr Leben verloren haben und auch der Ort, an dem viele den Angehörigen zeigen wollten, wir trauern mit euch.

Die Kerzen und Blumen zu zeigen war daher wichtig, doch die Menschen in Ruhe zu lassen ebenfalls.

Daher war die erste Entscheidung, dass wir uns am Rathaus postieren und in den folgenden Tagen nur noch von dort schalten.

Die zweite Entscheidung war, dass ich immer wieder alleine, ohne ein Kamerateam durch den Ort gegangen bin. Nur so konnte ich ein Gefühl dafür bekommen, was diese unfassbare Katastrophe mit dem Ort, mit den Menschen macht. Und nur so konnte ich ins Gespräch kommen.

Wie hat die Redaktion auf diese Entscheidung reagiert?

Zunächst war ich nicht ganz sicher, ob es von Seiten der Redaktion akzeptiert wird, dass wir nur noch vor dem Rathaus stehen und zudem berichten, ohne vor der Kamera mit jemandem zu sprechen. Mir war nur klar, dass ich es nur so machen würde.

Doch vor allem die Redaktionsleitung, aber auch der Chef vom Dienst und die Kollegen haben mich sofort unterstützt. Das war enorm wichtig. Das Gefühl, dass uns vertraut wird, dass die Redaktion unsere Entscheidungen für richtig hält, war auch eine Voraussetzung dafür, dass wir mehrere Tage lang berichten konnten.

Sie haben keine Bilder von Angehörigen, den trauernden Schülern oder Lehrern gezeigt. Auch die filmische Umsetzung war von großer Achtsamkeit und Zurückhaltung geprägt. Wie haben Sie vor Ort gearbeitet?

Es war so, dass das Team am SNG (Anm.: Übertragungswagen) war, während ich mich in der Stadt umgesehen und Gespräche geführt habe. Manchmal haben mich auch Menschen direkt neben dem Satellitenwagen angesprochen. Es waren zum Teil sehr intensive, persönliche Gespräche. Gespräche über Trauer, darüber was in der Stadt passiert, wie es den Menschen vor Ort geht. Ich habe auch mit Trauerbegleitern gesprochen und sehr viel mit Kollegen, zum Beispiel mit Journalisten aus Spanien oder Italien.

Sehr wichtig waren auch die Pressekonferenzen, die die Stadt im Rathaus gegeben hat. An dieser Stelle möchte ich unbedingt dem Bürgermeister und dem Schulleiter aus Haltern ein sehr großes Lob aussprechen.

Sie haben die Aufmerksamkeit der Medien durch die Pressekonferenzen auf sich gelenkt. Sie haben sich den Fragen der Journalisten immer und immer wieder gestellt. Sie standen auch für Einzelinterviews zur Verfügung.

Damit haben sie, denke ich, die Angehörigen, Familien und Freunde der Opfer vor noch mehr Interesse geschützt.

Und man hat beiden Männern angemerkt, wie schwierig diese Aufgabe war.

Natürlich habe ich vor Ort die Ablehnung der Medien mitbekommen, auch wenn ich persönlich nicht negativ angesprochen wurde.

Doch es gab eine spürbare Zurückhaltung und Skepsis gegenüber Journalisten, die ich gut verstehen konnte.

Es ist ein Spannungsfeld zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit, gerade an dem Ort Haltern, in dem sich das Grausame dieser Katastrophe in einem besonderen Maße zeigt, und dem Bedürfnis der Menschen vor Ort, in Ruhe gelassen zu werden.

Sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen, ist nicht einfach.

Wir haben versucht, niemandem zu nahe zu treten und dennoch über das, was wir vor Ort erfahren haben, zu berichten.

Auch innerhalb der Redaktion wurde in fast jeder Konferenz diskutiert, welche Bilder gezeigt werden sollen und welche nicht.

Es war aber sofort klar, dass wir von uns aus keine Angehörigen ansprechen, dass wir Abstand halten. Dass auch die Kollegen in ihren Beiträgen beispielsweise keine Naheinstellungen von der Unglücksstelle zeigen, auf denen Details zu erkennen.

Als ich nach der Berichterstattung wieder nach Düsseldorf in die Redaktion kam, war ich erstaunt, wie intensiv die Diskussionen waren und ich finde es wichtig und richtig, dass wir darüber sprechen. Wir haben dann ja auch keine Bilder vom Täter gezeigt. Das war sicher umstritten, aber wir haben es so gemacht.

Das WDR-Fernsehen erhielt sehr viele und sehr positive Rückmeldungen für diese Art der Berichterstattung.

Über diese Rückmeldungen haben wir uns alle ganz besonders gefreut.

Sie sind für das gesamte Team und für mich persönlich die größte Anerkennung.

Das Interview führte Thomas Görger